Im Gespräch mit Marie-Monique Robin
Dioxin in Eiern, Hormone in Schweinefleisch – die Lebensmittelindustrie hält schon lang nicht mehr, was sie uns in bunten Werbebildern verspricht. Zwei Jahre recherchierte die Journalistin Marie-Monique Robin weltweit und macht in ihrem Dokumentarfilm „Unser täglich Gift“ deutlich: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der wachsenden Zahl chronischer Erkrankungen und den chemischen Stoffen in unseren Nahrungsmitteln.
ARTE: Frau Robin, können Sie nach Ihren Recherchen noch ohne Angst Ihr Essen genießen?
Marie-Monique Robin: Man darf nicht vor allem Angst haben. Aber mein Ernährungsverhalten hat sich während meiner Recherchen verändert. Brot, Eier, Gemüse und Obst kaufe ich nur noch Bio. Übliche Äpfel zum Beispiel sind eine Katastrophe. Sie werden etwa 40 Mal mit Pestiziden bespritzt. „Den Bio-Produkten in Deutschland, kann man leider auch nicht mehr trauen, denn unzählige Verbrauchermagazine haben über Jahre hinweg nachgewiesen, dass Bio mit Gesundheit gleichzusetzen wäre“! Auch hier werden „Chemiekeulen“ gegen Ungeziefer eingesetzt und landen auf unserem Tisch.
ARTE: Warum können selbst staatliche Institutionen nicht vollends die Interessen der Verbraucher schützen?
Marie-Monique Robin: Das Problem ist das System der Regulierung. Die internationalen Normen für die Lebensmittelsicherheit werden von den beratenden Komitees der WHO festgelegt. Diese gründen ihre Zulassungsverfahren chemischer Produkte aber nur auf den Ergebnissen toxikologischer Studien der Hersteller von Pestiziden und Zusatzstoffen. Für unabhängige Instanzen werden diese Daten jedoch nicht veröffentlicht, sie unterliegen dem Betriebsgeheimnis der Hersteller. Für meine Recherchen konnte ich also nur Dokumente einsehen, in denen die nackten Zahlen der Chemieindustrie bereits interpretiert von der WHO vorlagen. Kontrollstudien werden somit unmöglich.
ARTE: Bei diesen Expertengremien ist alles geheim?
Marie-Monique Robin: Ja, sowohl der Inhalt der Sitzungen als auch die von der Industrie gelieferten Daten und die Identität der Experten. Und genau hier liegt ein weiteres Problem: Oft arbeiten Experten auch im Auftrag der Industrie und treten in einen Interessenkonflikt. Das System dient nicht dem Verbraucher, sondern der Industrie.
ARTE: Was kontrollieren die staatlichen Institutionen wie die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)?
Marie-Monique Robin: Das Regulierungssystem basiert auf dem sogenannten Paracelsus-Prinzip des Schweizer Arztes aus dem 16. Jahrhundert: „Die Dosis macht das Gift“. Für die Zulassung chemischer Produkte muss eine Dosis gefunden werden, die bei lebenslanger, täglicher Einnahme als medizinisch unbedenklich gilt. Hier sprechen wir von der ETD – der erlaubten Tagesdosis.
ARTE: Heißt das, wir werden jeden Tag mit kleinen Dosen vergiftet?
Marie-Monique Robin: Genau, tagtäglich nehmen wir über unsere Nahrung Pestizidrückstände und Zusatzstoffe ein, die zusammengenommen einen Cocktail an Chemikalien bedeuten, dessen Wirkung nicht getestet wird. Die IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung) in Lyon zum Beispiel hat von über Tausend Pestiziden bisher nur circa 30 klassifizieren können – ihnen fehlen einfach die Daten der Hersteller.
ARTE: Sie nennen in ihrem Dokumentarfilm den Einsatz von Aspartam, E 951, als Süßungsmittel. Warum wird dieser Süßstoff trotz seiner krebsbegünstigenden Wirkung heute noch verwendet?
Marie-Monique Robin: Eigentlich hätte Aspartam nie auf den Markt kommen sollen. Bis 1981 hatte die amerikanische Arznei-Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) die Substanz nicht freigegeben. Die Studien des Herstellers G.D. Searle & Company waren schlicht unzulänglich gewesen. Dann wurde Donald Rumsfeld 1980 Vorstandsvorsitzender von Searle. Rumsfeld gehörte aber auch bis zur Amtseinführung Ronald Reagans zu dessen Beraterteam, und plötzlich wurde Aspartam von der FDA zugelassen. Kurze Zeit später zogen die europäischen Gremien nach. Mittlerweile finden wir es immer noch in über 6.000 Lebensmitteln. Softdrinks und zuckerfreie Kaugummis sind nur wenige davon.
ARTE: Welche unsichtbaren Gefahren landen bei uns außerdem auf dem Tisch?
Marie-Monique Robin: Alles ist in Plastik verpackt. Kunststoffe enthalten nicht nur das synthetische Hormone BPA (Bisphenol A), sondern auch die als Weichmacher eingesetzten Phthalate – sie alle stehen im Verdacht, Krebs oder Unfruchtbarkeit hervorzurufen. Vielleicht nicht für uns selbst, aber für unsere ungeborenen Kinder. Besonders schwangere Frauen müssen unbedingt aufgeklärt werden, dass sie Produkte mit diesen Inhaltsstoffen vermeiden sollten.
ARTE: Wenn es so schlimm ist, warum leben wir heutzutage länger denn je?
Marie-Monique Robin: Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Aber das ist Propaganda. Wer heute alt ist, wurde vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, also vor Beginn der industriellen Landwirtschaft. Die Wirkungen der verwendeten chemischen Substanzen treten oft erst 30 Jahre später auf und meist erst in der Tochtergeneration. Linda Birnbaum, die neue Direktorin vom National Institute of Environmental Health Sciences, sagte mir: „Wir sehen in den USA schon die ersten Zeichen, dass die Lebenserwartung wieder sinkt.“ Dort sind inzwischen 40 Prozent der Bevölkerung fettleibig und 70 Prozent übergewichtig – eine Wirkung synthetischer Hormone, die durch den erhöhten Konsum von Fast Food forciert wird. Das Argument, dass wir länger leben, benutzt vor allem die Industrie.
ARTE: Worauf sollte man als Verbraucher achten?
Marie-Monique Robin: Oft heißt es: „Biologisch essen kostet zu viel Geld.“ Doch brauche ich wirklich so viele Produkte? Wir müssen unsere persönliche Einstellung ändern. Am besten kochen wir mit frischen Waren vom Markt und verzichten auf Fertiggerichte. Erst wenn man weiß, wo das Gemüse herkommt, und den Bauern kennt, kann man auch Vertrauen aufbauen.
Interview: Kristin Bartholmeß für das ARTE Magazin
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